Es muss vorweggenommen werden: Ich bin eine kleine Lyrik-Banause. Ja, ich gestehe hiermit, dass ich die lange Form vorziehe und nur ein begrenztes Interesse an Gedichten habe. Viele von ihnen erschließen sich mir einfach nicht. Sie wirken auf mich oft willkürlich zusammengesellt, als hätte man wahllos zufällige Zeilen zusammengewürfelt, die als Ganzes keinen höheren Sinn ergeben. Daher war ich zunächst ein wenig skeptisch, als ich hörte, dass Slowenien bei seinem Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse einen der Scherpunkte eben auf Lyrik legen möchte. Doch diese Skepsis war zum Teil unbegründet, wie sich nach der Lektüre einiger Gedicht zeigte. Nicht alle haben mich erreicht, aber dennoch überraschend viele.
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Aleš Šteger - Atemprotokolle (Wallstein Verlag) Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz
"Dies ist ein Buch aus Protokollen, ein Buch geschrieben in besonderen Bewusstseinszuständen." - So beginnt diese Gedichtsammlung und bereits mit diesem Satz steckt sie einen Erwartungshorizont ab. Was kommt auf mich zu? Gedichte, die unter Drogen geschrieben wurden?
Vielleicht auch.
Den Leser und die Leserin erwartet hier eine spirituelle und dennoch nüchtern verfasste Ansammlung an Gedanken, Reflexionen, Affirmationen und Lebenswahrheiten.
Nicht die Schönheit der Form, sondern der Wahrheitsgehalt der Inhalte scheint hier im Vordergrund zu stehen.
"Wir sind hier, um die zu sein, die wir sind, und durch
dieses Bewusstsein anderen zu helfen, diejenigen zu
werden, die sie sind." (S. 13)
In einigen Gedichten wird der Autor überraschend konkret, während andere eine tiefgründige philosophische Ebene offenbaren. Der letzte Teil des Büchleins ist ein Gedicht-Zyklus nach dem Alphabet, wobei jedem Buchstaben ein Reflexion über den Menschen zugeordnet ist. Nicht alle verstehe ich. Aber vielleicht ist es gar nicht notwendig, alles zu verstehen, um sich in den eigenen Gedanken verlieren zu können. Dieses schmale Buch ist besonders geeignet für einen winterlichen Abend im Sessel, begleitet vom warmen Schein des Kaminfeuers.
Srečko Kosovel - Mein Gedicht ist mein Gesicht (Otto Müller Verlag) Aus dem Slowenischen von Ludwig Hartinger Holzschnitte und Federzeichnungen von Christian Thanhäuser
Srečko Kosovel gehört zu den Klassikern der slowenischen Literatur. Leider ist es seinen Gedichten nicht gelungen, meine Seele zu berühren. Umso mehr mochte ich einige seiner Miniaturen. Geschrieben jeweils wie ein kurzer pointierter Prosatext, dennoch lyrisch-philosophisch. Wobei er den lyrischen Charakter der Texte durch kurze Sätze und seinen reflektierenden Gedankengang erreicht.
Komisches Leben
Jemand fragte mich, hast du eine Seele?
Ich sagte ihm, ich hab eine. Sagte, daß ich an ihre Dauer glaube und an ihre Schönheit. Doch er fragte mich weiter: Hat das Tier eine Seele?
Ich antwortete ihm, ja, es hat eine. Und er darauf: Hat der Bum eine Seele? Und wieder antwortete ich, ja, er hat eine. Da erzürnte der andere und fragte mich voll Zorn: Auch der Stein? Als ich erwiderte, der hat eine, wandte er sich von mir ab.
Wie komisch sind manche Leute! Erzähle ich ihnen, All und Allseele sind wie Himmel und Meer, die sich eins im andern spiegeln, so glauben sie es. Wenn ich ihnen aber sage, daß jede Erscheinung ihren Schein im kosmischen Leuchten der Seele findet, bestreiten sie es, und doch stimmt es manchmal, daß der Stein eine schönere Seele hat als die Menschen.
"Mein Gedicht ist mein Gesicht" sammelt Gedichte, kurze Prosatexte, Zeichnungen und einige Faksimile handgeschriebener Gedichte. Es ist Buch, das dazu einlädt, sich über einen Längeren Zeitraum damit zu befassen.
Ana Pepelnik - nicht fisch (parasitenpresse) Aus dem Slownischen von Analija Maček und Matthias Göritz sowie Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik
Als ich im Vorwort las, dass die Gedichte der viel ausgezeichneten slowenischen Autorin Ana Pepelnik von zwei Teams übersetzt wurden - ein für die sprachliche Übertragung zuständig und das andere für die Übertragung der Gedankengänge ins Deutsche - habe ich zunächst erwartet, dass es tatsächlich jeweils zwei Gedichte geben würde, die man miteinander vergleichen könnte. Das schien mir einen faszinierenden Einblick in die Gedankenentwicklung und den Übersetzungsprozess zu bieten. Daher war meine Enttäuschung groß, als ich im Weiteren nur die "Endprodukte" der Arbeit der beiden Übersetzerteams vorfand. Allerdings ist diese Vorgehensweise nicht ungewöhnlich.
"nicht fisch" ist ein schmales Büchlein. Die Gedichte sind in Kleinbuchstaben und ohne Punkt und Komma verfasst. Um mich in sie richtig hineinzudenken, fehlt mir vermutlich die Geduld. Vielleicht ist es gerade die (mir fehlende) Geduld das, was die Gedichte einem zugänglich macht? Dennoch möchte ich auch hier ein Beispiel zeigen. Vielleicht seid ihr geduldiger.
UNGUTE TRÄUME
dreh dich zur anderen seite und sie vergehen habe ich gesagt dich angezogen und wir gingen in den tag der in wahrheit der morgen war und was die nach bring wer weiß es
und die nacht war sie war so weit weg noch weit weg von unserer seite des tages
Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck
Tomaž Šalamuns revolutionierte mit seiner Lyrik die slowenische Literatur. Seine Gedichte kreisen thematisch um grundlegende menschliche Emotionen wie Angst oder gar Selbstzweifel, ebenso wie um kirchliche Themen und den Gott himself. Auch die Auseinandersetzung mit der Sprache und dem Schreibprozess bzw. gar der Inspiration gehört zu den häufig behandelten Themen in seinen Gedichten. Auch die Form scheint für ihn von großer Bedeutung zu sein, da er von kurzen, prägnanten Lyrikformen bis hin zu ausgedehnten Prosagedichten eine breite Palette abdeckt. Die in seinen Gedichten oft eingesetzten Bilder sind assoziativ, seine Vergleiche überraschend und mitunter sogar kontrovers.
Sprache
Du bist ein Juwel, gemacht aus meiner Kraft, ich esse dich wie einen Eiswürfel. Du reißt mir die Arme aus den Schultern und häufst sie auf wie Brennholz. Vermehrst sie. Ich bin verwüstet. Mein Götze ist zerbrochen. Du bist mein Lehm, meine Zunge, die Spucke auf meiner geballten Faust. Damit mein Blut nicht an deinem Samen erstickt, musst du mich aufschneiden. Schau, ich stecke die Faust ins Maul einer Kuh und streue die Gensäblümchen über den Gumpen. Grau, feucht und aschen bist du, wenn ich auf die Mauer am Seeufer blicke. (...)
Meine Literarturreise durch die slowenische Poesie endete nach diesen vier Bänden. Interessant wäre hier aber noch, die Anthologie "Mein Nachbar auf der Wolke" zu erwähnen, die im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse entstand und eine gute Übersicht über die zeitgenössische slowenische Dichtung liefert.
Vielleicht seid ihr geduldiger als ich... Ich wünsche Euch auf jeden Fall viel Spaß bei der Lektüre und bei den Neuentdeckungen aus Slowenien!
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