Literarische Veranstaltungen bringen allen Beteiligten Vorteile. Die Schreibenden haben die Möglichkeit, nicht nur für Ihre Werke Werbung zu machen, sondern auch Buchverkäufe und durch die Honorare ihre Einkünfte zu steigern. Für die Leserschaft sind die literarischen Veranstaltungen oft eine Möglichkeit, sich über neue Bücher zu informieren, verschiedene Schreibende persönlich zu erleben, das eigene Exemplar des Buches signieren zu lassen oder gar mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Nicht zuletzt profitieren auch die Veranstalter*innen und Verlage davon. Zwar besucht solche Veranstaltungen nur ein kleiner Teil der Lesenden und für manche Schreibende ist ein solcher Auftritt negativ konnotiert, dennoch waren sie lange eine beliebte Methode zur Leseförderung in der Gesellschaft.
Doch die Zeiten ändern sich.
Seit mehreren Monaten bleibt das Publikum großenteils aus. Und dies nicht nur aufgrund der Pandemie. Denn, was früher – als man nur auf Fernsehen oder Radio zurückgreifen konnte – als ein außerordentliches Erlebnis zählte, wird in der spätmodernen Gesellschaft aufgrund der allgemeinen Zugänglichkeit abgewertet. Heutzutage gibt es ein vielfältiges Angebot, Schreibende live zu erleben. Hinzu bieten soziale Netzwerke eine interessante Alternative, sodass jede/r und zu jedem Zeitpunkt auf viel Video- und Bildmaterial zu einem bestimmten Buch und den Autor*innen zugreifen kann, nicht selten direkt von dem jeweiligen Autor oder der Autorin geliefert, ein Einblick in das Privatleben inklusive.
Außerdem treten nicht alle Schreibenden auf der Bühne gleichermaßen gerne auf, sind gute Vorleser*innen und Erzähler*innen oder können ihre Persönlichkeit für das Publikum interessant genug transportieren. An solchen Abenden, die nicht durch eine gute Moderation gerettet werden, kann sich schon eine gähnende Langeweile ausbreiten. Und ich wette, dass jede Person, die literarische Veranstaltungen regelmäßig besucht, solche Erfahrungen bereits machen konnte.
Das Ziel dieses Artikels ist zunächst eine Bestandaufnahme der verschiedenen Veranstaltungsformaten, die in Präsenz abgehalten werden. Eine tiefgreifendere Analyse folgt demnächst.
Welche Formate gibt es also bereits?
1. Die „Wasserglaslesung“ und ihre Varianten
Hierbei handelt sich um die Autor*innenlesung mit Gespräch. Die frühere Variante, wo ein Autor oder Autorin eine knappe Stunde aus dem Buch vorgelesen und sich am Ende den Publikumsfragen gestellt hat, ist zunehmend (erfreulicherweise) durch ein moderiertes Gespräch verdrängt worden. Nicht selten werden die Lesungen auch durch den Ortwechsel, wie z.B. eine Fabrik, eine Kirche oder ein Café, attraktiver gemacht. Bisweilen wird die Lesung durch Musik umrahmt und oder durch andere Künste (wie z.B. synchrones Zeichnen des vorgetragenen Textes) ergänzt.
2. Eine Bühnenperformance
Einige Schreibende machen aus deren Lesung gerne eine Show und/oder binden auch Video auf der Leinwand oder die für die Lesung selbst ausgewählte Musik mit ein.
3. Ein themengeleitetes Podiumsgespräch
Hier treffen mehrere Gäste aufeinander, gerne auch genre- oder spartenübergreifend, und diskutieren in einem moderierten Gespräch über ein bestimmtes, alle verbindendes Thema.
4. Eine Kritikerrunde
Ein vor allem durch die öffentlichen Medien verbreitetes Format ist eine Kritikerrunde, an der sich mehrere Fachkundige treffen und über ausgewählte Bücher diskutieren.
5. Literaturkreise
Hier trifft sich ein Publikum (mit oder ohne Anwesenheit des Autors) und tauscht sich über ein gelesenes Buch aus. Begleitet und moderiert werden diese Diskussionsrunden durch eine fachkundige Moderation.
6. Buchvorstellungen
Ein Abend, an dem verschiedene aktuelle Buchtitel schmackhaft gemacht werden, ohne dass dabei Autor*innen präsent sind.
7. Eine Literaturnacht
Hier werden fremde Texte (kollektiv) vorgelesen. Manchmal sind die Autor*innen mit dabei. Oft nicht.
8. Literaturfestival
Eine zeitlich begrenzt stattfindende Reihe von Veranstaltungen, die zusammenhängend beworben werden.
9. Preisverleihung
Hierbei handelt es sich um eine Gala für die Literatur und ihre Urheber. Oft haben sie einen festlichen Charakter und werden von einem anschließenden Empfang begleitet.
Wir leben in einer spätmodernen Gesellschaft, die nach Einzigartigkeit und Singularität sucht, nach Veranstaltungen, die nicht austauschbar und nicht wiederholbar sind, nach Erlebnissen, die man einerseits kollektiv erfahren kann, aber dennoch als etwas Besonders in sozialen Netzwerken teilen kann. Das Publikum sucht nach Veranstaltungen, die als einzigartig anerkannt werden und somit zu einem sharebaren Event werden können. Nach Veranstaltungen, die abseits des Gewohnten liegen und Emotionen hervorrufen. Wird dieses Verlangen gestillt, führt dies langfristig zu einer Eventisierung des Veranstaltungsbetriebs. Und schon jetzt ist erkennbar, dass bekannte Namen das Publikum stärker anziehen als unbekannte, und dies immer wieder unabhängig von der Qualität des Textes. Virales zieht Massen an. Wie schaffen wir es, dass Literaturlesen und -erleben zu einem viralen Thema werden?
Kennt ihr vielleicht andere Präsenzformate, die ich hier nicht aufgezählt habe? Vielleicht wollt ihr diese mit uns teilen?
Denn die Gesellschaft verändert sich gerade, und wenn wir selber nicht richtungsweisend werden, werden es andere für uns… und was, wenn uns das Ergebnis dann nicht gefällt?
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