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Fremde Literaturwelten? – SLOWENIEN – Der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2023

Autorenbild: Bozena BaduraBozena Badura



„Waben der Worte“

Slowenien ist ein kleines Land mit einer turbulenten Vergangenheit. 2023 konnte sich Slowenien als das Land mit der dichtesten Dichte der Dichter der Welt als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse präsentieren, und zwar unter dem Motto „Waben der Worte“. Die Idee für dieses Motto ist mehrfach begründet: Einerseits sind Bienen diejenigen Insekten, die entscheidend dazu beitragen, dass die Vielfalt der Pflanzenwelt erhalten bleibt. Ähnlich sorgen die Schreibenden und Dichtenden für eine Vielfalt der Gedanken. Außerdem sind aufgrund der geringen Anzahl der Menschen, die Slowenisch sprechen, sowie der geopolitischen Lage des Landes viele slowenische Schriftsteller:innen mehrsprachig und schreiben und publizieren parallel zu den Texten auf Slowenisch in mindestens einer Fremdsprache. So wie die Bienen, die in die Welt fliegen, um Nektar und Pollen zu sammeln, die in dem Bienenstock zu Honig verarbeitet werden, gibt es auch in Slowenien verschiedene kulturelle, künstlerische und intellektuelle Einflüsse, es sei von den slowenischen Autor:innen, die des Öfteren im Ausland leben und schaffen oder durch die zahlreichen Übersetzungen der fremdsprachigen Werke in die slowenische Sprache. Diese Einflüsse haben die slowenische Literatur zu einer dynamischen und originellen Welt geformt.



Historisch geht die Phrase „Waben der Worte“ auf eine Gedichtsammlung „Sonettenkranz“ (Originaltitel: "Sonetni venec") von France Prešeren (1800-1849) zurück, einem fortschrittlichen bürgerlichen Intellektuellen, der die literarische Romantik Sloweniens maßgeblich beeinflusste. Seine Sonetten prägen thematisch die Liebessehnsucht, weibliche Untreue, Schicksalsschläge und Verfolgungen und wurden durch die unglückliche Liebe des Dichters zu einer reichen Bürgerstochter inspiriert.

Auf den ersten Blick strahlt das Motto „Waben der Worte“ und der Vergleich der slowenischen Schreibenden mit Bienen eine gewisse Idylle aus. Die Vorstellung, wie die slowenischen Schrifsteller:innen in die Welt hinausfliegen und mit einer Fülle neuer Geschichten nach Slowenien zurückkehren, ist nämlich sehr bildhaft. Umso spannender finde ich den Einwand, den Slavoj Žižek, ein seit vielen Jahren in den USA lebender Philosoph slowenischer Herkunft, in seiner ansonsten politisch sehr umstrittenen Eröffnungsrede machte: „Welcher Idiot hat das als Leitwort ausgewählt? Wissen Sie, wie Bienen leben? Das ist eine extrem totalitäre Gesellschaft. Mehr als 80% sind Frauen, sind weiblich, die de facto kastriert werden, die sich sexuell nicht entwickeln dürfen, sie müssen einfach arbeiten. Als Arbeiterinnen haben sie eine Königin, die gelegentlich, einmal im Leben Sex hat mit 10 Männern. Und wenn sie zu Orgasmus kommen, wird deren Penis sofort abgeschnitten. Nein. In einer solchen Gesellschaft will ich nicht leben.“ (Die Rede könnt ihr hier in voller Länger nachhören) Und sobald man diese Struktur bedenkt, wird das idyllische Bild des fleißigen Bienchens doch trüber.

Slowenisch als Sprache

Auch wenn Slowenien, als ein unabhängiges Land, keine lange Geschichte aufweist, reicht die Geschichte der slowenischen Sprache weit ins Mittelalter, denn bereits im Jahre 1550 wurde das erste slowenische Buch gedruckt, ein Katechismus von Primož Trubar. Und schon dreißig Jahre später gab es die erste Grammatik sowie die erste integrale Bibelübersetzung, die übrigens auf der Übersetzung von Martin Luther basiert. Ihnen folgte knapp zehn Jahre später das erste mehrsprachige Wörterbuch, das u.a. die slowenische Sprache enthält. Dennoch fand die slowenische Sprache als staatlich organisierte Unterrichtssprache erst im Jahre 1810 den Eingang in die Schulen. Dies passierte zu der Zeit, als sich die ursprünglichen drei Varianten der Sprache zu einer Standardsprache entwickelten. Es dauerte allerdings weitere 100 Jahre – 1919 – bis man auch an der Universität auf Slowenisch unterrichtete.

Der slowenische Buchmarkt in Zahlen

In Slowenien gibt es ca. 2,1 Millionen Einwohner (Stand: Jan. 2022). Dennoch ist der slowenische Buchmarkt relativ groß. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in Slowenien sehr viel gelesen wird. Durchschnittlich kauft jede/r Slowen/in zwei Buchtitel pro Jahr. (Im Vergleich dazu gab es 2022 in Deutschland laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) rund 25,8 Millionen Käufer:innen von Büchern. Auf die Bevölkerungszahl in Deutschland hochgerechnet, ist es wirklich nicht berauschend.)

Jährlich werden in Slowenien zwischen 1.000 und 3.000 neue Titel veröffentlicht. (Im Vergleich dazu werden in Deutschland über 90.000 neue Titel pro Jahr auf den Markt gebracht.) Zusammengefasst scheint die Zahl der Neuerscheinungen im Vergleich zu einem dennoch absatzstarken Land recht mager aus. Dies muss allerdings in Relation zu der Bevölkerungszahl betrachtet werden.

Die Besonderheiten des slowenischen Buchmarktes

Interessant ist es, dass es in Slowenien ein ganz anderes Fördersystem der Literatur gibt als in Deutschland. Denn um staatliche Förderung zu erhalten (dabei wird die Literatur in Slowenien staatlich sehr stark gefördert), müssen die Autor:innen Punkte sammeln. Daher sind die Schreibenden sehr daran interessiert, recht zügig an ihren Büchern zu arbeiten. Dies ist u.a. dadurch möglich, dass der Produktionsprozess viel kürzer ist als in Deutschland, und dauert meist nur wenige Monate. (In Deutschland kann es durchaus sogar mehrere Jahre dauern, bis ein bereits fertiggestelltes Manuskript tatsächlich als Veröffentlichung vorliegt.) Ein kurzer Produktionsprozess ist insbesondere darin begründet, dass es in Slowenien bei der Erstellung eines Buches so gut wie keine Unterstützung durch Lektor:innen gibt. Zwar werden die veröffentlichten Bücher lektoriert, doch selten wird in die Textstruktur oder den Aufbau einer Geschichte dermaßen eingegriffen, wie dies manchmal in den deutschsprachigen Verlagen der Fall ist. Einerseits könnte man hier argumentieren, dass die fehlende Unterstützung durch den/die Lektor/in zu einer schlechteren Qualität der Literatur führen könnte. Doch in einem solchen Fall müssen sich die Autor:innen intensiver mit dem Schreibprozess befassen, da sie eben nur auf sich gestellt sind. Dies hat eine entscheidend positive Folge zu verzeichnen, und zwar, dass die slowenischen Autor:innenstimmen viel heterogener sind, als dies in Deutschland (insbesondere in den letzten Jahren – was allerdings an dieser Stelle völlig subjektiv behauptet wird) der Fall zu sein scheint.

Und während es in Slowenien eine gut ausgebaute strukturelle Förderung der Literatur zu geben scheint, scheint eine andere Förderform – die Literaturpreise – wenig fortgeschritten zu sein. Denn eine Zusammenstellung der Literaturpreisträger:innen auf der Internetpräsenz des Ehrengastauftritts suggeriert, dass es vor dem Jahr 2018 kaum Literaturpreise gab. (Siehe hierzu eine Auflistung auf der Internetseite zum Auftritt Sloweniens auf der FBM23) (Im Vergleich dazu gibt es in Deutschland aktuell deutlich über 1.000 unterschiedliche Literaturpreise. Hier gibt es ein Interview zur Preislandschaft in Deutschland bei Börsenblatt)



Deep Reading

Ein spannender Aspekt und eine der thematischen Ausrichtungen während des Gastlandauftritts in Frankfurt ist die Betonung der Bedeutung von Deep Reading im Bildschirmzeitalter. Dies ist nicht nur ein Einsatz zu Förderung des Lesens zu verstehen. Meines Erachtens müsste es sich hierbei eigentlich um eine weltweite Kampagne handeln, denn das Lesen wie auch die Literatur selbst erfährt – im direkten Vergleich mit anderen Medien – insbesondere mit dem Film – einen Rückgang.

Dabei ist unter den unterschiedlichen Künsten alleine die Literatur imstande, eine komplexe Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen und Emotionen zu gewährleisten, und ist für die Entwicklung des kritischen Denkens und somit indirekt für die Gewährleistung der Demokratie entscheidend.

In diesem Rahmen wurde Das Ljubljana-Manifest zur Bedeutung fortgeschrittener Lesekompetenzen veröffentlicht. Ein Plädoyer für das vertiefte Lesen – als Kontrapunkt zum schnellen Smartphone-Reiz.

Ein zentraler Punkt dieses Manifestes ist folgende Stelle:

„Intensives Lesen ist unser wichtigstes Instrument bei der Entwicklung analytischen und kritischen Denkens. Es trainiert metakognitive Fähigkeiten und kognitive Ausdauer, erweitert unsere konzeptuellen Kapazitäten, fördert Empathie und Perspektivdenken – soziale Fähigkeiten, die für informierte Bürger*innen in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar sind. Die Unterzeichner*innen dieses Manifests rufen dazu auf, die dauerhafte Bedeutung intensiven Lesens und der damit verbundenen fortgeschrittenen Lesekompetenzen im digitalen Zeitalter anzuerkennen und deren Vermittlung zu fördern.“ (Quelle: Das Ljubljana-Manifest zur Bedeutung fortgeschrittener Lesekompetenzen)

Slowenische Gegenwartsliteratur

Die moderne slowenische Literatur hat sich in vielfältige Richtungen entwickelt. Einen Slowenen bzw. eine Slowenin macht – laut einer Aussage während einer Pressekonferenz am 15.06.2023 – aus, dass er/sie ein Beobachter bzw. eine Beobachterin ist. Dies schlägt sich auch in der slowenischen Literatur nieder, einer Literatur, die sich intensiv mit den gesellschaftlichen Themen befasst, wobei die zwischenmenschlichen Beziehungen oft zum Handlungsgerüst werden. Die politische Ebene nimmt außerdem oft den Bezug auf die Nachkriegszeit, denn diese hat Slowenien bis dato noch nicht bewältigt, wie es in derselben Pressekonferenz verraten wurde.

Einige Beispiele aus der Gegenwartsliteratur werden in weiteren Beiträgen folgen.

Fun-Fact außerhalb der Literatur

Slowenien hat nicht nur die Luther’sche Bibel kopiert, sondern nach der Unabhängigkeit auch die gesamte Gesetzgebung Deutschlands. Wenn man also als Jurist in Deutschland studierte, dürfte es einem nicht schwerfallen, sich in Slowenien mit der Gesetzgebung auszukennen.

Weitere Links

Hier ist ein Link zu einem Buch zur Geschichte der slowenischen Literatur: Walter Puchner Die Literaturen Südosteuropas 15. bis frühes 20. Jahrhundert. Ein Vergleich 2015 Böhlau Verlag Wien Köln Weimar - Der Link ist hier zu finden.

Weitere Informationen zu dem Auftritt Sloweniens auf der Buchmesse findet man hier.


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