Auch wenn das Bestreben vieler Veranstalter*innen im Literaturbereich darin liegt, Präsenzangebote zu liefern, gilt es nicht zu missachten, dass sich in den letzten Jahren ein Publikum ausgebildet hat, das gerne digitale Formate wahrnimmt. Wir haben in den letzten drei Jahren viel an digitalen Kompetenzen dazugewonnen, eine Rückkehr in die vorpandemische Realität ist nicht mehr möglich.
Warum sollen wir also nicht diese Kompetenzen dafür nutzen, diejenigen Menschen digital zu erreichen, die digital erreicht werden wollen?
Mit einem digitalen Angebot meine ich allerdings nicht die Marketingmaßnahmen mithilfe der sozialen Netzwerke & Co. Es bedeutet auch keinesfalls, dass ab sofort alle Veranstalter*innen auf die digitale Literaturvermittlung umsteigen sollten. Denn es passt nicht zu jedem Profil gleichermaßen gut. Vielmehr soll eine digitale Veranstaltungsvariante als eine Chance angesehen werden, das eigene Angebot zu erweitern, und zwar auch, wenn manche Veranstalter*innen eine berechtigte Angst davor haben, dass sich dann die eine oder die andere Person, die bisher Präsenzveranstaltungen besuchte, dazu entschließen mag, zu Hause zu bleiben… Dies ist nicht auszuschließen, aber vielleicht gewinnt man mit einem guten hybriden Angebot unterm Strich mehr treue Besucher*innen als man verloren hat?
Das Publikum ist nämlich da und es will erreicht werden. Und vielleicht wäre ein guter Anfang, bevor es uns gelingt, im Literaturbereich neuartige digitalbasierte Veranstaltungsformate zu entwickeln, eine qualitativ gute hybride Variante anzubieten?
Zunächst ist es wichtig voranzustellen, dass das digitale Publikum bereits eine bestimmte technische Qualität verlangt, wie guter Ton, Bild und einen professionellen Schnitt. Wenn die technische Ausstattung nicht stimmt, wird es das jeweilige Angebot nicht oder nicht erneut wahrnehmen.
Hier könnte man direkt einwenden, dass nicht alle Veranstalter*innen über die entsprechende Technik verfügen oder imstande sind, mit der aktuellen personellen Besetzung z.B. eine hybride Variante der Lesung anzubieten. Jedes Mal ein externes Unternehmen zu beauftragen, das die Veranstaltung digital zugänglich macht, wäre teuer. Doch schon mit einer einmaligen Investition in zwei Kameras und entsprechende Aufnahmegeräte, sowie in eine Person, die diese entsprechend bedienen kann, lässt sich erstaunlich viel machen. So steht z.B. mit OBS eine gute Software, mit der man zwischen den Kameras bei einer Live-Übertragung schalten kann, um verschiedene Blickwinkel anbieten zu können, kostenlos zur Verfügung. Auch für einen professionellen Schnitt für die spätere Nachbearbeitung und Videodokumentation steht z.B. DaVinci Resolve (auf für kommerzielle Zwecke) kostenlos zur Verfügung. Zudem gibt es gegen eine Beteiligung an dem Gewinn mittlerweile verschiedene Plattformen, über die man eine kulturelle Veranstaltung hinter eine Paywall setzen könnte, um Online-Einnahmen zu generieren.
Allerdings zeichnet sich hier auch eine weitere Herausforderung struktureller Natur, und zwar: Sehr viele der Literaturveranstalter*innen sind vereinsbasierte und ehrenamtlich geführte literarische Gesellschaften, die gerade ohnehin Probleme mit dem Publikumsschwund haben, oder gar kleine Buchhandlungen, deren Kerngeschäft eigentlich darin liegt, die in den Veranstaltungen vorgestellten Bücher zu verkaufen. Ihnen gegenüber stehen institutionell geförderte Literaturhäuser, Bibliotheken oder andere kulturelle Einrichtungen, die aufgrund anderer Finanzierungsstrukturen durchaus mehr Möglichkeiten haben. Auch Literaturfestivals hätten hier aufgrund verschiedener Fördertöpfe die Möglichkeiten, solche Angebote viel einfacher einzurichten.
Ich schreibe den Text aus der Überzeugung heraus, dass der in den letzten Jahren stark vorangehende gesellschaftliche Strukturwandel und die zunehmende Bedeutung des Digitalen dazu führen, dass das digitale Publikum immer wichtiger wird, während das physische Publikum vor Ort sich nur für außergewöhnliche Literaturformate entscheiden wird. Zunehmend vielleicht ausschließlich für Veranstaltungen im Festivalformat, was nicht schlecht ist, aber für kleinere Veranstalter*innen keine gute Entwicklung darstellt.
Was ist also zu tun? Zunächst sollte die Entwicklung und Pflege eines treuen Stammpublikums im Fokus stehen. Und als zweites überlegen, wie man das digitale Publikum langfristig in das eigene Angebot miteinbinden könnte. Manchmal lohnt es sich, langfristiger zu denken und zu investieren, und auch Dinge auszuprobieren, die heute vielleicht noch außerhalb der eigenen Wohlfühlzone liegen…
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